Das Buch handelt von der fast siebenjährigen Juni, ihrer Mama Gina und ihrem Papa Florian. Sie heißen mit Nachnamen Wunder und sind gerade in ihr neues Wunder-Häuschen am Waldrand gezogen. Juni nimmt alles stärker wahr als andere und hat, wie der Titel schon sagt, eine blühende Fantasie.
Auf einem Ausflug, auf den ihre Mama sie schickt, erlebt Juni viele spannende und irgendwie magische Dinge. Sie trifft auf einem Lebenshof ein sprechendes Eichhörnchen, was Schluckauf hat und dabei dann immer zu viele und unpassende Wörter sagt. Das Eichhörnchen Fomo erzählt Juni eine fantastische Geschichte von einem Moosmädchen mit glitzernden Sommersprossen und weißen Hirschen mit Zauberkraft, durch die es nun sprechen und alle Tiere und Menschen verstehen kann. Für Juni ist das nicht außergewöhnlicher als all die anderen wunderbaren Dinge, die sie unterwegs sieht, hört, riecht und sammelt. Durch ihre Fantasie, ihre ganz eigene Vorstellungskraft, die Begleitung ihres Lieblingskuscheltiers Axolotl Lotti und einer Menge Brausekribbeln im Bauch entdeckt sie ihren neuen Lieblingsort.
Die Illustrationen von Peter Aurisch sind in einem ganz besonderen Stil, da er ursprünglich Tattoo Artist ist. Sie sind sehr bunt, erinnern vielleicht ein wenig an Comics, sehen aber eben auch einfach nach Tattoo aus. Es gibt sehr viel zu entdecken, fast ein wenig wie bei Wimmelbildern.
Schon im Vorwort von Sina Hildmann werden die Lesenden direkt angesprochen und meiner Meinung nach sehr abgeholt. Sina stellt viele Fragen: „Kennst du das Gefühl, dich unbedingt auf eine einzige Sache konzentrieren zu wollen - aber in deinem Kopf ist es, als wärst du mitten in einem Großstadtbahnhof?“ oder „Beobachtest du andere Kinder dabei, wie ihnen Dinge ganz leicht fallen, während sie dir unglaublich schwer vorkommen?“ oder „Wünschst du dir manchmal, deine Gefühle wären ein kleines bisschen weniger stark, damit dich nicht jeder zertretene Käfer so unendlich traurig macht?“ Sina beschreibt, dass es ihr auch so ging und auch heute immer noch manchmal so geht. Sie erzählt von ihrem Lebensweg und wie sie irgendwann erkannt hat, dass ihr starkes Fühlen, was sie lange für ihre größte Schwäche gehalten hat, in Wahrheit ihre größte Stärke ist und wie ihr Weg dann weiterging. Sie hat den Lebenshof MutimBauch im Schwarzwald gegründet, der Inspiration für das Juni Wunder- Buch war. Und sie bestärkt die Lesenden schon im Vorwort, dass nur sie allein entscheiden, wie sie sind und niemals „zu viel“, „zu laut“, „zu hibbelig“ oder „zu verträumt“ sein können.
Während Neurodivergenz auf keiner Seite explizit erwähnt wird, begegnen einem viele typische Eigenschaften. Aber keinesfalls vordergründig, so dass das Buch auch wunderbar ohne jeden Bezug zu Neurodivergenz gelesen werden kann. Und gleichzeitig bietet es sicherlich einiges Identifikationspotenzial. Beispielsweise mag Juni Wunder keine Schuhe, geht am liebsten barfuß und auf Zehenspitzen. Sie hat Schwierigkeiten, Redewendungen zu verstehen, denkt viel nach und stellt sich alles ganz genau vor. Auch wird ihre Aufmerksamkeit ständig abgelenkt und alle Sinne nehmen viel wahr, besonders ihr Geruchssinn. Gerüche hat sie mit Erinnerungen verknüpft in Schubladen abgespeichert. Wenn Juni ganz vertieft ist in eine Sache, vergisst sie das Essen und Trinken. Und wenn ihr etwas sehr gefällt, kommen auch schnell mal Freudentränen.
Wie schon im Vorwort, wird auch im Buch die Leserschaft direkt angesprochen: „Mama Gina wäre nicht Mama Gina, wenn sie nicht einen Plan hätte. Sie wird sich ganz heimlich hinter Juni erschleichen, für den Fall, dass ihre Tochter sich plötzlich doch in Rotkäppchen verwandeln sollte und vergisst auf dem Weg zu bleiben. Wer das nun wieder ist? Das ist eine andere Geschichte, frag doch mal deine Eltern, die kennen sie sicher.“
Eine weitere Besonderheit des Buches: Die Macher*innen dieses Buchs haben die Schriftart „Open Dyslexic“ ausgewählt. Damit unterstützen sie nach eigener Aussage ein inklusives Leseerlebnis für Menschen mit Leseherausforderungen, da diese Schriftart bestimmte Lesefehler mildern soll.
Ansonsten ist das Buch frei von Stereotypen. Mama Gina und Papa Florian arbeiten beide. Juni erzählt: „Mama arbeitet viel zu viel, hat immer ihr Smartphone in der Hand. Entweder daddelt sie, spricht jemandem eine Nachricht hinein oder sagt was in die Kamera. Dabei will sie eigentlich viel lieber mit mir und Papa Zeit verbringen.“ Papa hat seit dem Umzug seinen Traumjob und ist Törtchenverkäufer in einer Konditorei. Er liebt Törtchen und Kuchen, kann aber nicht backen. Daher malt er sie so, wie er sie gerne hätte. Und manchmal backt sein Chef die dann.
Das Buch kommt mit wenigen Personen aus, aber diese bilden verschiedene Haut- und Haarfarben ab.
Juni Wunder und die blühende Fantasie ist ein sehr modernes Buch mit comicartigen Elementen. Es greift aktuelle Themen unserer Zeit und von Kindern und Jugendlichen auf. Es kommt mit viel (Wort-) Witz daher. Beim Vorlesen machen besonders die extra Schluckauf-Wörter des Eichhörnchens viel Spaß. Insgesamt wirklich sehr gelungen. Ein schönes Extra: Juni Wunder und die blühende Fantasie ist Band 1 der Buchreihe. Hörspielfolgen und mehr finden sich auf der Verlagsseite www.mutimbauch-verlag.de
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